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jessenvollenweider

Theaterstrasse 12 Renovation . Zurich

© filippo bolognese

jessenvollenweider architektur

Winning competition entry.
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Location: Zurich, Switzerland Year: 2020 Status: Competition, 1st place Program: Retail + officeTeam: Anna Jessen, Ingemar Vollenweider, Slavcho Kolevichin, Daniela Ivanova, Emma Larcelet

 

Identität und Flexibilität sind potentielle Gegensätze, die das moderne Geschäftshaus prägen. Das vorgeschlagene Projekt für die Sanierung und den Umbau der Liegenschaft Theaterstrasse 12 am Sechseläutenplatz in Zürich antwortet mit der  direkten Verknüpfung dieser strategischen Pole:  In die innere Primärstruktur wird unter Beachtung der statischen Tabuzonen eine vertikale Raumfigur eingeschrieben, die das Haus vom 1. Untergeschoss bis zum Dach grosszügig öffnet und die typische Stapelung von Funktionen in ein Szenario der Gleichzeitigkeit und visuellen Transparenz verwandelt. Es entsteht ein einmaliger Innenraum, der gleichzeitig das Potential bietet, die einzelnen Geschosse flexibel zu programmieren und zu schalten. Je nach Entwicklung könnte sich Retail vertikal sichtbar auf die Obergeschosse erweitern, zum Beispiel als ‚urbane Produktion’ von Design, Herstellung und Verkauf. Im umgekehrten Sinne könnte die Büronutzung als öffentlicher Third-Place kombiniert mit Gastronomie schon im 1. Obergeschoss spektakulär starten. Das Prinzip der Öffnung prägt auch die neue äussere Erscheinung des Hauses, sowohl auf der sanft bewegten Platzfassade wie auf der terrassierten Hofseite. Als ‚Haus am Platz’ findet es auf der Basis der bestehenden Tragstruktur ein feine Balance zwischen luftiger Transparenz am See und Kontinuität der historischen Bellevuefront.

Struktur und Nutzung
Zwischen den zwei kompakten Kernen an den beiden Gebäudeseiten, welche die Erschliessung der Büroflächen in den Normalgeschossen integrieren, entfaltet sich im Zentrum eine eigenständige Erschliessungsfigur, welche die Bewegungsströme ins Untergeschoss und ins 1. Obergeschoss klar adressiert und gleichzeitig zu einem dynamischen Raumerlebnis zusammenfasst. In der Verlängerung des Haupteingangs führt gerade aus eine Rolltreppenanlage in die mögliche Food-Etage im 1. Untergeschoss. Rechts erschliesst eine grosszügige Wendeltreppe die Gastronomie-und mögliche Retailflächen im 1. Obergeschoss. Vis-à-vis davon verbindet eine transparente Liftanlage alle drei Retail- und Gastrogeschosse. Die organische Figur unterstützt die fliessenden Übergänge aktueller Shopping-, Gastro- und Performance- Konzepte und schafft einen  unverwechselbaren Ort der Begegnung, welcher in seiner luftigen Leichtigkeit die weiten Stadträume von See und Platz einzufangen scheint. Die vierte Öffnung in der kleeblattförmigen Anordnung bildet in der Eingangsachse ein kreisfömiger Deckenausschnitt, der sich durch alle Obergeschosse schneidet und die Besucher nach dem Betreten des Hauses mit einem verblüffenden Blick in den Himmel überrascht.  Auf  den  Bürogeschossen  sorgt  diese  Öffnung  für  eine   natürliche Belichtung der Mittelzone und für  unterschiedlich  interpretierbare  Orte  des  Treffens und  der  Kommunikation.
Nach Einschätzung unseres Teams schafft das grosszügige Öffnen der Decke über dem Erdgeschoss erst die räumliche und atmosphärische Voraussetzung für eine erfolgreiche Bespielung des 1. Obergeschosses, insbesondere auch mit einer gastronomischen Nutzung, für welche die zur Verfügung stehende Fläche als immer noch sehr grosszügig beurteilt wird.

Erscheinung und Materialisierung
Die liegende Proportion des Baukörpers bildet neben den  kompakten Nachbargebäuden in der Bellevuefront eine Herausforderung. Eine Teilung in Seiten- oder Mittelrisalite, wie es der Vorgängerbau noch gezeigt hatte, würde angesichts der inneren Regelmässigkeit der bestehenden Struktur und der zukünftigen Büronutzung eher aufgesetzt wirken. Die im Programm angeregte Gliederung der Bürogeschosse durch Loggien schafft beim Erhalt der bestehenden Stützen konstruktive Zwangspunkte und würde eine an diesem Ort unangemessene Privatisierung des öffentlichen Raums erzeugen.
Die vorgeschlagene Platzfassade thematisiert im Gegenteil die horizontale Ausdehnung nicht zuletzt mit der praktisch über die ganze Länge aufgespannten Terrasse im 1. Obergeschoss, die mit einer eingezogene Loggia in den drei mittleren Raumachsen zusätzlichen Raum gewinnt. Dieses grosszügige Aufspannen wird  mit einer Rhythmisierung der vertikalen Kräfte im Gleichgewicht gehalten. Aus dieser Überlagerung entsteht ein primäres monolithisches Gerüst aus Betonfertigteilstützen in jeder zweiten Achse, die mit umlaufenden Gesimsen in Ortbeton vergossen werden und an den Knotenpunkten durch die Stützen wie leicht nach aussen gedrückt wirken oder diese weich zu umfliessen scheinen. Diese Achsen korrespondieren mit dem Achsmass des benachbarten Corso und werden mit den mondänen Schaufensteranlagen im Erdgeschoss nochmals auf die doppelte Spannweite vergrössert. Das 1. Obergeschoss vermittelt die beiden Fassadenthemen, zentriert und verweist mit der weit gespannten dreiachsigen Loggia auf die innere Erschliessungsfigur. Zwischen den Betonstützen wird das bestehende Stützenraster durch feine Aluminiumpfeiler interpretiert, die im Einklang mit den neuen Fensteranlagen als Material und Stimmung jene heiter, luftige Baukultur am Zürichsee wachrufen, die beispielhaft Hans Hofmann seeaufwärts an der Feldeggstrasse 1956 für die Alusuisse realisiert hat. In den Brüstungsfeldern und im Sturzbereich des dadurch optisch überhöhten Normalgeschosses wird mit grünem Kunststein das Thema des kontrastierenden Infills neu interpretiert, wie es in bekannten Zürcher Geschäftshäusern der Moderne, beispielsweise im Bleicherhof von Otto Salvisberg realisiert wurde, dort mit roten Spaltklinkerplatten. Im Zusammenklang sucht der Ausdruck eine urbane und zugleich festlich heitere Stimmung, die den Festival- Charakter des Ortes am Sechseläutenplatz aufnimmt und neu belebt.
Die bestehende Stützenlage an der Nordost-Ecke wird zum Anlass genommen, den Baukörper neu direkt im 45° Winkel um die Ecke zu führen und so dem Gebäude mit einer schmalen Front von nur einer Fensterachse eine markante Ausrichtung auf das Bellevue zu geben. Gleichzeitig wird damit die Frontalität zum Platz relativiert und auf die neu entwickelte Seiten- und vor allem Hoffassade verwiesen. Dort staffelt sich das Haus über grüne Terrassen in den Baum bestandenen Hof. Eine zusätzliche Aussenfläche der Gastronomie im 1. Obergeschoss und insbesondere die Bürogeschosse profitieren von der Qualität einer grünen Stadtoase, die mit ihrer Fassadenbegrünung eine positiven Beitrag zu einem angenehmen Stadtklima leistet.
Auf der Hofseite wird neben den sichergestellten Fluchtwegen auf strassenabgewandter Seite ebenfalls die Anlieferung neu so organisiert, dass mit einem Stempellift in der Gasse und seitlichem Parkieren von LKWs mit 10m Länge das Entladen ohne Beeinträchtigung der Rampenzufahrt in die Tiefgarage möglich sein wird.

Energie- und Gebäudetechnik
Das Gesamtenergiekonzept orientiert sich an den Massstäben der 7-Meilenschritte der Stadt Zürich und ist auf die energetische Erreichung des MINERGIE-P-ECO Standards ausgelegt. Kurze Wege und gute Zugänglichkeit minimieren neben den Investitions- und Betriebskosten die Graue Energie. Bei der Auswahl der eingesetzten Materialien wird darauf geachtet, dass diese einerseits langlebig sind und andererseits deren Stoffkreisläufe möglichst geschlossen sind. Im Bürobereich sorgen öffenbare Lüftungsflügel für einen direkten Aussenbezug und eine energetisch wirkungsvolle Nachtauskühlung. Eine Verbindung von Primär- und Sekundärstrukturen wird konsequent  vermieden.

Konzept Heizung/ Kälte
Die Nähe zum See würde sich eignen, um das Gebäude mittels Seewassernutzung zu beheizen (Wärmepumpe) und zu kühlen (direkt). Eine solche Anlage könnte ggf. im Contracting errichtet werden und weitere Gebäude in der Nachbarschaft mit einschliessen. In den Geschossen erfolgt die Wärme- und Kälteverteilung und Abgabe über Heiz-/ Kühlsegel. Die Erschliessung erfolgt jeweils von den Schächten, die bei den Kernen angeordnet sind und eine maximale Nutzerflexibilität ermöglichen.

Konzept Lüftung/ Klima
Das Gebäude wird aus Dachzentralen mit Luft versorgt. Damit können die Schachtflächen minimiert und die wertvolle Mietfläche maximiert werden. Zudem werden die Luftwege damit so kurz wie möglich gehalten, was die Betriebsenergie nachhaltig tief hält. In den Geschossen wird die Zu- und Abluft mieterspezifisch über die Decke verteilt. Die Lüftung wird grundsätzlich bedarfsabhängig mit CO2-Steuerung ausgestattet.

Solare Energie
Auf dem Dach kann in Ergänzung zur Wärmepumpenanlage eine effiziente Photovoltaikanlage installiert werden.

Tragwerkskonzept
Das 1973 nach den Plänen von Werner Gantenbein errichtete Geschäftshaus befindet sich an einer sehr prominenten Lage, direkt am Sechseläutenplatz und mit Sicht auf den See. Der Standort verspricht eine Nutzung mit einer hohen Wertschöpfung und soll entsprechend dem künftigen Mieterpotential  erneuert und umgebaut werden. Die Erneuerung betrifft vor allem die süd- und nordseitige Fassade. Der Umbau umfasst einen neuen Erschliessungskern, neue Liftanlagen und eine Attraktivierung mit einer grosszügigen Erschliessung des 1. Untergeschosses sowie des 1. Obergeschosses durch eine Rolltreppenanlage und eine Wendeltreppe. Da sich das Tragwerk in einem sehr guten Zustand präsentiert, wird das Grundgerüst des Skelettbaus in allen Geschossen, inklusive Untergeschoss, erhalten und nur in den Bereichen, in die eingegriffen wird, tragwerksrelevante Anpassungen vorgesehen. Bei den Interventionen im erhaltenswerten   Bestand   denken   wir   auch   an   das   Zitat   von   Luigi   Snozzi: ‚Jeder  Eingriff  setzt  eine  Zerstörung  voraus,  zerstöre  mit  Verstand  und  Freude!’

Die Eingriffe
Über alle Geschosse wird ostseitig ein neuer Erschliessungskern in Recyclingbeton hochgezogen, der gemeinsam mit dem westlichen Kern die Stabilität gegenüber Wind- und Erdbebeneinwirkungen gewährt. Das Erdgeschoss wird durch eine lichtdurchflutete Erschliessung aufgewertet. Dabei wird darauf geachtet, die Intervention auf das Deckenfeld zu beschränken, so dass nur die angrenzenden Stützen mit einem zusätzlichen Pilz ertüchtigt werden, welcher der Verhinderung des Durchstanzens dient.
Die seeseitige, südliche Fassade bleibt vom 5. bis zum 2. Obergeschoss erhalten. Im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss wird die Bestandsfassade durch ein neues filigranes, rahmenartiges Fassadengerüst ersetzt, welches das Fassadenraster von 1.93m konsequent übernimmt und nach unten hin aufweitet. Dabei sind die Horizontalriegel vorgespannt und ermöglichen grosszügige Fassadenperforationen von bis zu 7.7m Breite. Gleichzeitig mit der Fassadenerneuerung erhält das 1. Obergeschoss eine neue durchgehende Terrasse mit Blick auf den Sechseläutenplatz und den See. Der neue Balkon ist  auskragend konzipiert  und wird mit der Decke des Bestands strukturell gekoppelt. Er wird von den Normalkräften der Fassade überdrückt und kann damit stützenfrei ausgebildet werden. Der Balkon dient gleichzeitig als Vordach und zur Adressbildung des neuen Hauses am Sechseläutenplatz.

Fazit
Das statische Grundgerüst wird über alle Geschosse weitgehend erhalten. Die Durchbrüche sind in den Deckenfeldern geplant und berücksichtigen die statischen Tabuzonen. Die Interventionen sind auf ein Minimum beschränkt und ermöglichen einen maximalen Mehrwert für den frischen Gebrauch des Hauses an einer der prominentesten Lagen Zürichs. Auf Grund des guten Zustands der bestehenden Bausubstanz gelingt es durch minimale Eingriffe ein im besten Sinne nachhaltiges Projekt zu realisieren.

Brandschutz
Für das bestehende Gebäude mittlerer Höhe wird ein bauliches Brandschutzkonzept entwickelt. Die Tragkonstruktion ist in R 60-Qualität ausgeführt. Separate Brandabschnitte bilden jeweils die Geschosse (ausgenommen 1. UG bis 1. OG im Verkaufs- und Restaurantbereich), Technik- und Lagerräume sowie Korridore und Treppenhäuser. Die Treppenhäuser werden mit REI 60-RF1-Wänden und selbstschliessenden EI 30-Türen ausgeführt. Die Geschossdecken weisen eine REI 60- Qualität auf und die weiteren brandabschnittsbildenden Wände werden in EI 30- Qualität (in den Untergeschossen in EI 60-Qualität) mit EI 30 Türen geplant. Der Lichthof wird dem Verkaufsbereich zugeschlagen und entsprechend von den Büronutzungen im 2. OG bis 5. OG in EI 60-Qualität abgetrennt.
Die maximal zulässige Fluchtwegdistanz von 35 m bis zu einem vertikalen Fluchtweg wird aus allen Räumen eingehalten. Der Fluchtweg führt über maximal einen weiteren Raum in einen horizontalen oder vertikalen Fluchtweg. Auf Grund der Vorgabe, dass alle Fluchtwege rückwärtig aus dem Gebäude führen sollen, muss in einem Treppenhaus über das Untergeschoss und in dem anderen Treppenhaus über dessen Anschluss im 1. Obergeschoss ins Freie geflüchtet werden. Diese Fluchtwege werden innerhalb der Treppenhäuser eindeutig gekennzeichnet. Alle Notausgänge und weiterführenden Fluchtwege für den Verkaufs- und Restaurantbereich weisen eine lichte Breite von mindestens 1.2 m auf und sind auf die nutzungsspezifischen Personenbelegungen bemessen. Für die weiteren Nutzungen beträgt die lichte Breite der Notausgänge mindestens 0.9 m und die der weiterführenden Fluchtwege mindestens 1.2 m.
Die Bruttogeschossfläche je Geschoss beträgt mehr als 900 m2. Unter Berücksichtigung der Einhaltung der maximal zulässigen Fluchtwegdistanzen sind die beiden geplanten Treppenhäuser ausreichend. Für die erhöhte Personenbelegung im 1. OG wird ein zusätzlicher Fluchtweg über die Terrasse mit anschliessender Aussentreppe bereitgestellt. Die Treppenhäuser führen vom 2. UG bis ins oberste Geschoss. Eine Spüllüftung ist für die Treppenhäuser entsprechend nicht erforderlich. Die Treppenhäuser werden mit Entrauchungsöffnungen vorgesehen. Der Verkaufs- und Restaurantbereich wird in Anbetracht der  zusammenhängenden Brandabschnittsfläche, der automatischen Löschanlage und  der  Personenbelegung mit einer maschinellen Rauch- und Wärmeabzugsanlage ohne Leistungsnachweis im 1. UG, EG und 1. OG ausgerüstet.
Im Verkaufs- und Restaurantbereich und in den zugehörigen Lager- und Betriebsräumen wird eine automatische Löschanlage installiert, die durch Handfeuermelder ergänzt wird. Eine Brandmeldeanlage ist nicht eingeplant. Der Verkaufs- und Restaurantbereich wird mit Wasserlöschposten und Handfeuerlöschern ausgerüstet. Für die Interventionskräfte besteht die Möglichkeit, von der Theaterstrasse an einer Längsseite des Gebäudes anzuleitern.